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Im Autohaus

17. März 2013

Das Auto leuchtet warn, in Gelb und Rot. Was sein muß, muß sein — also gestartet, ein Glück, das geht noch, und in aller Vorsicht zu einem Autohaus gefahren, dessen Firmenschild mit dem Symbol am Kühlergrill übereinstimmt.

Drinnen ist weiß gefliest (nicht daß hier Gedanken an ölverschmierte Lappen aufkommen). Es riecht nach neuem Auto. Gleich am Eingang gibt es einen Tresen und dahinter geschult lächelndes Personal.

Was kann ich für Sie tun?, lächelt ein fast noch jugendlicher Anzugträger.
Ich habe einen Termin, antworte ich. Ich bin hier nämlich angelegt (das haben sie schon am Telefon erledigt, und ich mußte dafür extra meine Fahrgestellnummer ermitteln). Mit einem gewissen Schrecken merke ich, daß mein Name bereits weithin sichtbar über einen Bildschirm flimmert: »Willkommen Fr. Lakritze (09:20 Uhr)!«

Möchten Sie noch einen Moment Platz nehmen, sagt der Anzugträger, einen Espresso vielleicht, oder einen Latte?

Dann: acht Sitzgelegenheiten um einen Glastisch, alle bis auf eine besetzt. Sieben Damen mit Frisur betrachten meinen Strickpullover. Ich grüße artig, aber nicht mal der schwarze Lederbezug meines Sessels kann den Eindruck mildern, den ich hier hinterlasse.

Das Zeitschriftenangebot bedient Autofahrer, Anhänger der Wohnkultur und Leute, die Zeitschriften über das Leben auf dem Lande lesen. Ich ziehe mein Buch aus der Tasche.

Espressolöffel klirren. Hochglanzmagazinseitenblättergeräusche. In Abständen treten Mechaniker, die Hände gesäubert, diskret auf den Damenzirkel zu: »Frau Sowieso, bitte«, in leicht fragendem Tonfall; dann wird ein gedämpftes Gespräch geführt, und Frau Sowieso packt Mantel und Handtasche und verschwindet. Es ist ein bißchen wie beim Schönheitschirurgen (stelle ich mir zumindest vor; aber da muß ich erst noch hin. Sagt mir ein Blick in die Runde).

Einmal kommt ein Mann herein mit schlammbespritzten Hosenbeinen; sein Fahrzeug ist liegengeblieben, erfahre ich über mein Buch hinweg. An der Espressomaschine passiert ihm ein Mißgeschick, woraufhin er bei den Tresenleuten um einen Lappen nachsucht.

Aber sofort, lächelt ein Anzugträger, und eilt mit Papiertüchern herbei. Der Mann wehrt ab: Sie sind doch nicht dafür da, meinen Kaffee aufzuputzen … Aber genau dafür sind wir da, lächelt der Anzug, sehen Sie, alles schon erledigt …

Derweil möchte ein junges Paar ein Auto kaufen — »äh, nein, gebraucht« –, aber da ist offenbar keiner zuständig; man schickt die beiden eine Viertelstunde lang fruchtlos herum. Zwei Neuwageninteressierte werden unterdessen von Verkäufern durch die Ausstellung komplimentiert.

Die Damendichte am Glastisch nimmt ab; bald bin ich allein unter Ledersesseln und kann endlich in Frieden mein Buch lesen. Bis es heißt: »Frau Lakritze, bitte?«

Der Mechaniker ist freundlich. Es muß etwas ausgetauscht werden. Es wird sicher teuer.

Vielleicht können Autohäuser Menschen dazu bewegen, zum Friseur zu gehen. Vielleicht können Autohäuser auch ein Grund dafür sein, endlich kein Auto mehr zu haben.

35 Kommentare
  1. Philipp Elph permalink
    17. März 2013 20:33

    Vorher zum Friseur gehen macht’s teurer!

  2. 17. März 2013 21:51

    Ich stelle mir grade vor, wie sieben Frauen OHNE Frisur aussehen und kann mit ein lautes Lachen nicht verkneifen…

    • 17. März 2013 21:57

      Haha! Stimmt natürlich.
      (Männer haben’s da, ähm, leichter!)

  3. 17. März 2013 22:02

    Hihi, lustig! Du fährst einfach das falsche Auto, daran liegt’s. ;-) Ja, von anderen Fabrikaten als dem meinen kenne ich solche Leuchtschriftbegrüßungsszenarien auch.

    • 17. März 2013 22:11

      Ich dachte, ich fahre nicht so ein Fabrikat. Aber irgendwann muß sich die Welt hinterrücks verändert haben —
      (Nein, die einzige Alternative: gar kein Auto.)

    • 17. März 2013 22:24

      ;-) Genau!

    • joulupukki permalink
      22. März 2013 10:58

      So ohne Klotz am Bein, gehts doch gleich beschwingter durchs Leben. Hab mein letztes Auto vor mehr als einem Jahrzehnt abgegeben und fahre sehr gut damit. Und so viel Taxi fahren kann ich garnicht, um die gesparten Kosten auszugeben. In der Stadt hat das Auto wirklich ausgedient.

    • 22. März 2013 12:44

      Sehr recht hast Du, Jou! Auch stelle ich mir das wunderbar vor: wieviel Platz plötzlich wäre, würde da keiner mehr parken. Dieses Auto ist mein letztes, das weiß ich schon.

    • joulupukki permalink
      22. März 2013 15:29

      mhm … und eine Stadt mit Wiesen statt Straßen zwischen den Hochhäusern ….

    • 23. März 2013 10:19

      Vielleicht gäbe es wieder Vorgärten? In Gründerzeitvierteln sieht man das noch; später wurden sie planiert und beparkt.

  4. ottogang permalink
    17. März 2013 22:45

    Oder so wie bei mir, eine kleine Werkstatt auf dem Land. Da kommt dann der Chef und fragt erstmal: „Na, wie gehts Dir denn“ und nachdem wir festgestellt haben, daß der eine Rücken und der andere Knie hat gehen wir nach draußen zu meinem Auto, er schaut, holt Werkzeug, repariert und meint dann nur, Also dann bis zum nächsten Mal, daß wir gesund bleiben.
    Auf dem Land eben, man kennt sich.

    • 17. März 2013 22:48

      Dann hast Du Glück (und ein Auto, das man noch reparieren kann. Die Mechaniker heißen ja inzwischen Mechatroniker und holen allenfalls den Laptop …). So was hätte ich auch gern wieder.

  5. 17. März 2013 22:56

    köstlich geschrieben. einfach lakritze! frauen mit frisur. ich grinse. aber bitte DU nicht zum schönheitschirurgen – hast du nun wirklich nicht nötig.

    was du wohl für eine automarke hast, dass es so etepetete zugeht in deinem autohaus? nein, sag es lieber nicht. keine schleichwerbung hier …

    ich hoffe, dein autoli sei bald wieder fit …

    herzlich, soso

    • 18. März 2013 9:18

      Mir war selbst nicht klar, daß ich so eine Automarke habe. Das nächste Auto wird ein Fahrrad. .))

  6. anglogermantranslations permalink
    17. März 2013 23:13

    Einen Latte bietet er also an, so, so …
    Mir strich die Lektorin eines großen Verlagshauses selbigen aus einer Romanübersetzung („Bringst du mir auch noch einen Latte mit?“). Sie fand das Wort – in einem Café-Kontext! – zu anzüglich. Aber Anzugträger im richtigen Leben dürfen so was sagen. Hm.

    • 17. März 2013 23:21

      Hm, verstehe ich gar nicht, diese Zensur. Solange die korrekte männliche Form verwendet ist, ist das doch gar nicht anzüglich, erst recht nicht in einem Café!

    • anglogermantranslations permalink
      17. März 2013 23:25

      Ich habe es auch nicht verstanden, aber es war keine freie, sondern eine Cheflektorin (die im Verlag das Sagen hat.)

    • 18. März 2013 9:07

      Haha, Latte im Café — anzüglich, Latte im Anzug — Kaffee. Neenee.
      (Und oweh, was würde da aus »Latte Igel«? Käme der gleich mit unter die aktuelle Zensurwalze? Und wie hieße er dann?)

  7. karu02 permalink
    18. März 2013 10:46

    Du hast die Szenerie treffend und noch dazu witzig beschrieben. Wir waren mit unserem Caddy – der eigentlich ein Volkswagen sein soll – auch einer solchen Werkstatt vertraglich verpflichtet. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben, wie es dort zuging mit Wartezeiten bis zu einer Stunde in einem exakt gleichen Ambiente. Gibts ein Ikea für Autohäuser? Zum Schluss stellte heraus, sie machen auch noch unterschiedliche Preise für Endverbraucher und Versicherungen, die sich um ca. 50 % zugunsten der Versicherungen unterscheiden.
    Das war dann nicht länger unsere Vertragswerkstatt.

    • 18. März 2013 11:02

      Heißt sowas inzwischen eigentlich »Autosalon«?
      Ich habe was übrig für Schrauber, aber die können mit den neuen Computerautos ja leider nur bedingt was anfangen …

    • 18. März 2013 11:05

      Ich erinnere mich noch, dass mein früherer Freund unsere Ente fast ganz auseinander- und wieder zusammengebaut hat und fast alle Reparaturen selbst gemacht hat. Heute unvorstellbar, bei den neuen Hightech-Autos.

    • 18. März 2013 11:34

      Haha! »Der Käfer — so helfe ich mir selbst«. Und die legendären Strumpfhosen als Keilriemenersatz. Nee, Selbermachen geht gar nicht mehr.

  8. 18. März 2013 11:58

    Das macht mir fast Sehnsucht nach meiner alten Werkstatt, unter den S-Bahnhöfen. Ins Büro ging es durch die Werkstatt, es roch nach Benzin, Öl, nach was auch immer es riechen sollte in einer Autowerkstatt halt. Das Zuverlässigste, was mir diesbezüglich je begegnet ist. Statt Latte ein Schwätzchen mit Ehefrau oder Tochter des Meisters. Finanziell immer so tragbar wie nur möglich bei der alten Kutsche. Ich will wieder ein Auto!

    • 18. März 2013 12:28

      Öllappenidyllen. So was kenne ich auch noch (inzwischen reparieren die halt Oldtimer …).

  9. meme permalink
    18. März 2013 12:20

    „Jetzt helfe ich mir selbst“ – ich habe gerade etliche Bücher dieser Reihe im Internet verkauft. Die entsprechenden Oldies haben lange ihren Geist aufgegeben, Liebhaber, die an ihrem Schätzchen selber schrauben, gibt es anscheinend immer noch.

    Wenn heute meine Kiste klappert oder leuchtet gibt’s abends ne klare Ansage: „du, da ist was, solltest mal nachschauen“ – und schon wird fast alles zur Zufriedenheit gerichtet.

    Beim Stichwort „Strickpullover“ hatte ich übrigens schlagartig Sarah Lund vor Augen (gespielt von Sofie Gråbøl), die uns mit dem intelligent gemachten Serienkrimi die letzten 5 Sonntagabende in Anspannung gehalten hat..

    Ein super Text – wann können wir ein Buch von Dir lesen, ich würde es sofort kaufen :))

    • 18. März 2013 12:31

      Oh, danke, meme! Wenn sich irgendwo die Gelegenheit zu einem Buch ergibt, werde ich sie selbstverständlich ergreifen. ,)))

      Sarah Lund? Wieder was zum Nachschlagen; danke für den Tip!

  10. 18. März 2013 15:59

    Fahrradwerkstätten fangen auch schon so an …..

    • 18. März 2013 16:08

      Aber ein Fahrrad kann man notfalls noch selbst reparieren … (hoffe ich doch?

    • 18. März 2013 18:47

      Noch, …. , früher, als alles ja sowieso besser war, hat jeder sein Fahrrad selbst repariert, … , vor kurzem hat mich ein Freund geschockt, als er so beiläufig sagte, er müsse heute mit der Bahn fahren, sein Rad sei in der Inspektion, …. , und bei meinem Rad, das ich heute endlich mal wieder rausholen konnte, eiert das Hinterrad, das kann ich nicht selbst!

    • 18. März 2013 21:24

      Ich hatte meine Räder bisher eher vom Sperrmüll. Die werden nicht inspiziert. Und gefahren werden sie auch eiernd. .)) — korrigiere: wurden; inzwischen gehe ich zu Fuß.

    • 19. März 2013 10:40

      back to the roots

  11. 23. März 2013 10:18

    Es war wohl nicht das Autohaus, dessen Empfangsstation mit „Dialogannahme“ überschrieben ist? (Darüber Serviervorschlag, einst bei Qype: http://serviervorschlag.wordpress.com/tag/dialogannahme/)

    • 23. März 2013 10:47

      Au-ha! So weit bin ich in die Niederungen der, nun, Dialoge, gar nicht vorgedrungen. Schöne neue Welt.

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  1. Der Mensch hat Räder | normalverteilt

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