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Grüne Hölle Balkon

28. Juli 2008

Als Innenstadtpflanze fehlt mir der Ausblick ins Grüne. Struppige Straßenbäume, Pflanzkübel und Parkplatzprimeln reichen mir nicht — Wildwuchs muß her. Deshalb beobachte ich mit Interesse, was sich in meinem Blumenkasten tut, den ich auf dem Balkon aufgestellt und mit Erdbeeren bepflanzt habe.

Erst waren’s tatsächlich Erdbeeren, aber es wurde bald spannender: Es gesellte sich ein Schlingknöterich dazu, der ganze Häuser überwuchern kann. Deshalb heißt er auch »Architektentrost«. Er ließ lange Bärte den Balkon hinabwallen, aber zu mehr ist es dann doch nicht gekommen.

Im zweiten Jahr überwog plötzlich Klee — ein dekoratives Polster, komplett mit Blüten, sehr zur Freude der städtischen Hummeln. Diese, wie auch andere Insekten, dürfen ihren Spaß in meinem Blumenkasten haben. Spinnen, Raupen, Käfer — ich halte mich da raus. Wo sollten sie auch sonst hin, die armen Viecher.

Dieses Jahr allerdings sah mein Klee nur kurz gut aus; dann wurde er schwarz von Blattläusen. Bald welkten die Pflanzen dahin, und ein klebriger Zuckerüberzug — die Ausscheidungen der Schmarotzer — bedeckte das kränkelnde Grün. Sehr schnell war ich bereit, von meiner Nichteinmischungspolitik abzuweichen, und ging zum Völkermord über. Tausende von Blattläusen habe ich abgesammelt und in Küchenpapier zerquetscht.

Eleganter gelöst hätte das der Marienkäfer. Dieses hübsche, nymphomanisch veranlagte Insekt mit seinen unansehnlichen Larven vertilgt Schädlinge in erstaunlichen Mengen. In meinem Blumenkasten aber zeigte sich kein Marienkäfer. (Ich hätte gern welche aus dem Internet bestellt, nur gab es dieses Jahr Lieferengpässe.) Stattdessen fand ich im Unterholz meiner Grünanlage halbzentimeterlange, flache Tiere mit einem schneeweißen Pelz aus (so nehme ich an) Fett, die sehr wendig auf Stengeln und Blättern balancierten.

Ausgiebige Recherche im Internet: Igitt, ich habe wohl Schmierläuse. Damit kann ich meinen Blumenkasten in die Tonne kippen, oder besser noch verbrennen und die Asche bei Neumond an einer vielbefahrenen Straße vergraben.

Fortan ging ich nicht nur erbarmungslos auf Blattlaus-, sondern noch erbarmungsloser auf Schmierlausjagd. Mit Streichhölzern (sie schmieren nämlich wirklich sehr) zerdrückte ich die Viecher, wo ich sie fand. Es wurden aber nicht weniger. Eher nahm die Blattlausdichte ab …

Und dann machte ich mir die Mühe, die Biester einmal eine halbe Stunde lang zu beobachten: Die weißen Räuber wanderten unverdrossen die verlausten Kleestengel nach oben, packten den ersten besten der Schmarotzer mit den vorderen Extremitäten und führten ihn zum Munde. Dann den nächsten, und den nächsten…

Ich hatte zwei Wochen lang die Guten umgebracht. Ich schäme mich immer noch, wenn ich daran denke.

Etwas später fand ich auch die zugehörigen Käfer: Sehr klein, bräunlich-schwarz mit ganz schwachen roten Flecken krabbeln sie hektisch in trockenen Pflanzenteilen herum. Meine Fotos sind nichts geworden — die Viecher halten einfach nicht still –, ich war aber inzwischen im Netz auf den Australischen Marienkäfer gestoßen … Am liebsten hätte ich sie um Entschuldigung gebeten, jeden einzeln.

Stattdessen möchte ich der Art global einen Dienst erweisen dafür, daß sie binnen zwei Wochen sämtliche (!) Blattläuse in meinem Gartenersatz vertilgt hat. Also:

Geneigte Leserin, lieber Hobbygärtner. Findest du in deinem Garten, Blumenkasten oder Zimmerpflanzentopf »Ungeziefer«, das so

Marienkäferlarve auf Kleeblatt

Marienkäferlarve auf Kleeblatt

aussieht, laß es um Himmelswillen leben. Es handelt sich vermutlich um Abkömmlinge der Art Scymnus sp.. Das sind Marienkäferlarven, für die andere Leute viel Geld ausgeben würden.

Ende der Durchsage.

Herzlichen Dank an Herrn Köhler von der wunderbaren Koleopterologie-Webseite,
der mir den Tip mit den Zwergmarienkäfern gegeben hat.

16 Kommentare
  1. joulupukki permalink
    14. August 2008 9:56

    Ah ja! Das Blattlausthema hat uns auch schon massive Recherchen gekostet. Am Effektivsten konnten wir den Biestern bisher mit Schmierseife zuleibe rücken. Einfach 2/3 Wasser 1/3 Schmierseife in eine Sprühflasche und einsprühen. Tut der Pflanze nix und die Sauger sind in 0,nix nur noch kleine schwarze Kügelchen.

    Mein ökologischer Arbeitskollege hat mir aber auch noch so eine Nützlingsadresse gegeben, dort kann man dann gegen jedes Böstier ein Guttier finden.

    Bezugsliste für Nützlinge Stand 2005

    gegen Blattläuse: Gallmücke, Schlupfwespe, Florfliege
    gegen Schwarze Bohnenlaus: Schlupfwespe (Lysiphlebus testaceipes)
    gegen Birnblattsauger: Raubwanze (Anthocoris nemoralis)
    gegen Dickmaulrüsslerlarven: Nematoden (Heterorhabditis megidis)
    gegen Minierfliege: Schlupfwespe (Dacnusa sibirica) oder Schlupfwespe (Diglyphus isaea)
    gegen Thripse und Spinnmilben: Florfliege (Chrysopa carnea), Raubmilbe (Amblyseius cucumeris oder californicus)
    gegen Trauermückenlarven: Nematoden (Steinernema feltiae)
    gegen Woll- und Schmierläuse: Australischer Marienkäfer (Cryprolaemus montrouzieri)
    gegen Weisse Fliege: Erzwespe (Encarsia formosa), Schlupfwespe (Eretmocerus eremicus),Raubwanze
    (Macrolophus caliginosus)

    Im Zweifelsfall kann man eine Böstierprobe an eine der Adressen schicken und die schicken einem dann das entsprechende Guttier und machen Dich im selben Aufwaschen auch gleich zum Gutmenschen (was bei Bedarf ja verheimlicht werden kann, hauptsache die Umwelt muss nicht drunter leiden…

    biohelp (B)
    Biologische Systeme – Nützlingszucht
    A-1110 Wien, Kapleigasse 16
    Tel.: 01/ 76 99 769-0 Fax DW 16
    e-mail: office@biohelp.at
    http://www.biohelp.at

    Pflanzendoktor
    A-1190 Wien, Paradisgasse 30/1
    Tel.: 0676/ 731 01 00
    Fax: 0676/ 731 01 01
    e-mail: office@pflanzendoktor.at
    http://www.pflanzendoktor.at

    H&P Welte GdbR (W)
    D-78479 Reichenau, Maurershorn 18a
    Tel.: 0049/ 7534/ 71 90 Fax DW 14 58
    e-mail: info@welte-nuetzlinge.de
    http://www.welte-nuetzlinge.de

    W. Neudorff GmbH KG (N)
    D-31857 Emmerthal, Postfach 1209
    Tel.: 0049/ 5155/ 6240 Fax DW 6010
    e-mail: : info@neudorff.at
    http://www.neudorff.at
    Bietet auch Pflanzenstärkungsmittel an

  2. karu02 permalink
    20. März 2009 20:56

    @köstlich Dein Kampf, Lakritze.

    Oh bitte, habt ihr zwei nicht auch was gegen größere Schädlinge anzubieten, z.B. Nacktschnecken und Kaninchen, die zerfressen hier alles! Es muss doch auch Guttiere geben, die diese Spezies lecker findet.

  3. 20. März 2009 22:42

    Karu, gegen Nacktschnecken helfen Laufenten.
    http://www.laufis.de/
    Ich kenne zwei namens Hilti und Bosch, die fressen so viele Schnecken, daß die Besitzer bei den Nachbarn sammeln gehen müssen.

    Und gegen Kaninchen, hat man mir gesagt, nützen Iltis, Eule, Fuchs und bengalischer Tiger. :)

  4. 9. Juni 2010 7:33

    Ha, jetzt erst gesehen, toll diese Koleopterologen, die diese Menge Bilder zusammengetragen hat, ich wusste noch gar nicht, dass es so viele Marienkäferartige (neben der siebenpunktigen) gibt und auch nicht, was ein Koleopterologe ist.

    • 9. Juni 2010 18:39

      Ja, da muß eine Heerschar von Insektenforschern mit dicken Objektiven an den Kameras in Gras und Unterholz herumkrabbeln, um uns diese Aufnahmen zu bescheren.

  5. Loui permalink
    13. Juli 2010 19:37

    ohhh gott !!!!!

    Das was ich über das fleißige Vernichten dieser kleinen lustigen Weißpelze gelesen habe könnte von mir stammen. Soeben hab ich bestimmt 5 dieser Tierchen vernichtet.
    Es passiert mir ab jetzt aber nicht mehr, dass ich erst auf die Jagd gehe und erst danach ins Netz schaue, um zu sehen, was ich getötet habe. Ich könnte mich ohrfeigen !!!

    • 13. Juli 2010 22:12

      Sooo schlimm ist es nicht, Loui. Wenn sie genügend Blattläuse finden, sind in drei, vier Tagen wieder Mengen dieser Viecherchen unterwegs. Viel Vergnügen beim Beobachten — sie haben wirklich einen beachtlichen Appetit!

  6. walterlenz permalink
    13. Oktober 2010 18:33

    Tausche zwei Polydrusus sparsus gegen einen Blaps mortisaga (bitte männlich).

    • 14. Oktober 2010 12:22

      Damit kann ich wohl nicht dienen. Im Saarland wurde der letzte vor dreißig Jahren gesehen, behauptet Wikipedia.

  7. karu02 permalink
    24. Mai 2011 19:56

    Gerade habe ich den ganzen Garten nach solchen Exemplaren durchstöbert aber außer Gespinstmottenlarven aller Art und tausende Blattläuse, sogar an den Tomaten, nichts gefunden. Alles klebt wegen dieser Läuse. Jetzt werde ich mich an einer der Nützlings-Adressen wenden müssen. Das wird der Böstierreichste Sommer, den wir bisher hatten. Der Vorteil der Trockenheit: Es gib kaum Schnecken.
    Nun ja, man kann nicht erwarten, von allem verschont zu bleiben…

    • 25. Mai 2011 16:25

      Auweia. Ich wünsche viel Erfolg bei der Guttieransiedlung! Damit sollte sich das Problem bald gelöst haben.

  8. 19. Juni 2011 3:17

    Gegen die größeren Viecher helfen Pflanzen bzw. Gemüsesorten, die man zwischen die befallenen setzt (z.B. http://www.daserste.de/wwiewissen/beitrag_dyn~uid,0ufurbv0y0eyubuv~cm.asp oder mal nach „pflanzen gegen schädlinge“ googlen).

    Der Knöterich hat übrigens im niederländischen Volksmund den schönen Namen „Brautschleier“.

  9. 4. Juli 2012 11:17

    Hallo Lakritze, herrlich geschrieben.
    Nichteinmischungspolitik auf Balkonia – gefällt mir. Gibt bei mir auch den einen oder anderen Topf/Kasten, wo ich geschehen lasse, was geschieht. Interessant, was da so manchmal wächst.
    Meinen Borretsch musste ich dieses Jahr leider roden. Da half kein Absammeln und kein Antilausmittel gegen die vielen Blattläuse, die von den Ameisen angeschleppt und in Massentierhaltung gemolken wurden. Die sind aber auch fleißig diese Arbeitstiere. Nach mehreren Versuchen, die Läuse loszuwerden, streckte ich die Flügel. Erntete alle Blätter, die brauchbar waren, schnippelte sie und deponierte sie im Tiefkühlfach. Die schönen Blüten und die Stengel entsorgte ich. LG

    • 4. Juli 2012 11:24

      Danke, mayarosa, auch wenn es natürlich schade um den Borretsch ist. Ist der so beliebt bei den kleinen Mistviechern? Gut, daß ich keinen habe.
      Ich bin sehr fasziniert davon, wie man nur irgendwo ein bißchen Erde braucht, Wasser dazu, und schon wächst was. Man muß gar nichts tun. Ganz schön vital.

  10. Rena permalink
    6. Juli 2014 21:02

    danke danke danke. ich wurde soeben von dir ebenfalls vor dem völkermord bewahrt und lasse die kleinen lustigen pelzigen tierchen sehr gerne in meinen pflanzen tollen :)

    • 6. Juli 2014 21:28

      Das freut mich! Ich wünsche den Pelzträgern guten und vor allem großen Appetit! ,)

Kommentare sind geschlossen.