Treiben lassen
Frau Amsel, Fachfrau für Sommervergnügen und wunderbaren Unfug, hat was Tolles: ein Kanu zum Aufpusten. Herr Amsel hat etwas doppelt Tolles: ein Aufblaskanu für zwei Personen. Zusammen sind das drei Sitzplätze auf dem Wasser, also machen wir zu dritt einen Ausflug an den Rhein, dahin, wo er träge mäandert und grün ist und noch ein bißchen wild: an den Altrhein bei Stockstadt, ins Naturschutzgebiet.
Es ist ein bißchen abenteuerlich: Das Bootchen kommt aus einer verblüffend winzigen Tasche, ist verblüffend schnell aufgeblasen und liegt dann verblüffend wenig tief im Wasser. Auch wenn man drin sitzt, noch: Man sitzt ja auf nichts als etwas Luft in einer Plastiktüte … Die Rettungsweste, sagt Herr Amsel, trägt man aber nur, damit die Schwäne abprallen. Ich frage nicht nach Krokodilen.
Nun ist es so: ich mache das zum ersten Mal. Das Bootchen ist leicht und reagiert auf jede Bewegung; wenn ein Lüftchen aufkommt, reagiert es auch auf das. Die Amsels paddeln ihr dunkelgrünes Schlauchboot lautlos und perfekt synchron; bei mir gehen 60% der Energie für Hin-und-her-Wackeln, Spritzen und Gummiquietschen drauf. So sieht das aus: die Amsels gleiten elegant vorneweg, ich plansche im Zickzack hinterher. Mein Gefährt ist klein, rund und knallgelb. Gummiboot im Jugendkleid, so würde es jedes Krokodil beurteilen.
Derweil entwickelt sich der Tag zum mustergültigen Sommertag, komplett mit Postkartenhimmel. Das Wasser: verlockend blaugraugrün. Vögel singen, Weiden rauschen, Libellen funkeln. Die Schwäne und wir lassen einander weitgehend in Ruhe. Zum Frühstücken binden wir uns im Schatten an und spucken Kirschkerne in den Fluß; unten gehen armlange Fische ihren Geschäften nach.
Beim Weiterpaddeln merke ich, wie es allmählich gleichmäßiger wird und wie ich besser vorankomme, und dann ist es wirklich wassernymphengleich: glatt und lautlos, vom Fluß und seiner Kühle nur durch eine Membran getrennt; direkt unter der Oberfläche strömen üppiggrüne Gärten, um mich tanzen Libellen im Gespann, und vor mir stieben wie eine Bugwelle die Wasserläufer. Ich merke gar nicht, wie mir die Sonne die Pfoten verbrennt.
Jetzt können wir umkehren, sagt Herr Amsel, oder noch etwas über vierzigtaused Kilometer weiter fahren. So verlockend das ist – wir nehmen den kürzeren Weg flußabwärts. Ohne Paddeln.
Das Zurücktreibenlassen ist das Allerschönste. Das Boot dreht frei, die Richtung stimmt trotzdem immer; das Paddel dient nur noch dazu, gelegentlich den Kurs zu korrigieren. Da wölbt sich der Sommertag noch einmal über dem Flußabschnitt, und unter seiner Glocke ist die Welt ganz und gar in Ordnung. Es reicht vollkommen, sich von oben wärmen und von unten kühlen zu lassen, ins Grüne und Blaue zu schauen und ab und zu eine Kirsche zu essen.
Später sind die Boote schnell (und mit Bedauern) wieder zusammengefaltet. Schadensbericht: sonnenverbrannte Handrücken, Blasen an beiden Daumen, morgen sicher Muskelkater, und, auweia, Infektion mit dem Paddelvirus. Immerhin: keinerlei Krokodile.
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Jetzt hast du mich echt ein angefixt. Ich habe mich sowas noch nie getraut, obwohl ich ja in Flüssen schwimme. Aber paddeln? Du Mutige.
So ein Tag auf dem Wasser ist fast eine Woche Ferien. Stell ich mir vor.
Stimmt ziemlich genau; und bei der Hitze sind es die einzig wahren Ferien. Übrigens völlig ungefährlich, wenn man schwimmen kann. ,)
Die Rheinkrokodile sollen ja irgendwann in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts ausgestorben sein, aber vielleicht haben sich in den Altarmen des Rheins noch ein paar Exemplare gehalten, die mittlerweile bei den dritten Zähnen angekommen sind oder gar keine Zähne mehr haben.
Haha! Die müssen ihre Beute lutschen …
Die haben sich zu Ungeheuern im Kasperletheater weiterentwickelt … die einzige ökologische Nische, die hierzuland noch frei war.
Herrje. Und die Kasperletheater sterben auch schon aus –!
Was für eine schöne Ausflugsbeschreibung! :-)
Dringende Empfehlung: Paddeleinladungen niemals ausschlagen! Sind auch mit Sicherheitsabstand möglich.
Gebongt. Sobald das erste Angebot kommt, sage ich zu!
Wäre halt eine Paddeltour auf dem Bodensee und bisher hat mich noch niemand eingeladen, aber kann ja noch kommen. :-)
In der ZEIT vom letzten Donnerstag war auch schon so ein verlockender großer Paddel-Artikel drin, über Faltboote. Dieser Virus ist schlimmer als Corona, befürchte ich!
Korrektur (bevor sich noch jemand totsucht!): der Artikel ist unter dem Titel „Kleine Freiheit vor der Tür“ in „chrismon“ erschienen (Heft 07/08 2020, S. 12 – 24). Der Text ist von Matthias Drobinski, die (wunderbaren) Fotos sind von Gordon Welters.
Ah, danke! Auf Spiegel ohnline war auch schon ein Artikel. Das wird, so steht zu Befürchten, große Mode.
Wir schauen gerne https://www.flusswandern.at/steve/ und bekommen Sehnsucht nach solchen Abenteuern. Danke für die Inspiration!
Oh, das ist noch ne Nummer größer. Auch schön, ja!