Zum Inhalt springen

Pohlednice z Prahy

29. Mai 2018

Prag, Mutter aller Städte, die Vielfotografierte: im Sommer ist sie tatsächlich golden. Kein hochglanzpoliertes, sondern ein altes Stück, schnörkelig, schadhaft, gewiß nicht leicht zu reinigen. Von den Hügeln aus wirkt Prag, als habe man die Glanzstücke aus allen Stadtbildern zu einem zusammengeschoben, so daß das Auge kaum weiß, wohin. Auch im Kleinen keine Ruhe: jede Fassade grüßt mit Figuren und Fratzen, man will durch die Straßen und Gassen wandern mit dem Kopf im Nacken und bloß keinen Giebel verpassen; man würde wohl von Hunderten, ja, Tausenden vorangeschoben, mitgerissen an den Sehenswürdigkeiten vorbei.

Postkartenhimmel, natürlich.

Die Moldau, breit fließt sie hier, gesäumt von Steinpracht und kühlen Parks, schenkt Ruhe, wenn man die Anmache der Vergnügungsschiffsmatrosen ignoriert und den wirbelnden Strom von Touristen in den Uferanlagen.

Versteckt mitten im Gewühl gibt es Orte, an denen man mehr Tschechisch hört als Englisch. Parks mit tiefen Bänken für Schachspieler, Innenhöfe voller schlafender Tische und Stühle, Museen, Passagen. Und überall Gedenkplaketten: Mahnmale für ermordete Ketzer, Juden, Nonkonforme, Intellektuelle, Kämpfer für Demokratie und Freiheit. Gerade wieder gegenwärtig ist der Einmarsch sowjetischer Streitkräfte, die den Prager Frühling vor fünfzig Jahren blutig beendeten.

Heute wird der Stadt eine andere Art Gewalt zugefügt: Nicht zu übersehen ist die Touristenflut, die zwar Geld bringt, den Altstadtbewohnern aber ein normales Leben unmöglich macht. Unsichtbar sind die Investoren, die den ohnehin kostbaren Wohnraum ins Unglaubliche verteuern. Wer in der Prager Innenstadt wohnt, verkauft keine Brötchen, hat keinen Handwerksbetrieb, steuert keine Tram. Nicht einmal Akademiker können sich das leisten. Aber wer bewohnt, wer belebt dann das Herz dieser Stadt? Oder genügt sie als Kulisse?

 

 

 

13 Kommentare
  1. 29. Mai 2018 22:25

    Prag ist auch im zeitigen Frühjahr schon golden! Wir haben uns dieses Jahr selbst davon überzeugt. :-)
    Dass die Preise astronomisch sind, war mir nicht bewusst. Wir hatten die günstigste (und hervorragende) Übernachtung, die wir je in einer Großstadt hatten. Auch die Preise in Geschäften und Restaurants waren nicht hoch. Über Wohnungsmieten weiß ich natürlich nicht Bescheid. Jedenfalls ist Prag eine wunderschöne Stadt. :-)

    • 30. Mai 2018 7:30

      Ja, das Essen fanden wir erstaunlich günstig, aber Wohnen kostet dort inzwischen so viel wie in Berlin. Die Tschechen verdienen allerdings im Schnitt weniger, für die ist das kraß.
      Ein Problem wohl aller begehrten Städte: irgendwer kann sie sich immer locker leisten …

    • 30. Mai 2018 10:24

      Wir übernachteten in einer airb&b-Unterkunft, hatten ein zentral gelegenes ganzes Appartment für uns und zahlten weit, weit weniger dafür als in allen bisherigen Großstädten. Dabei hatten wir noch eins der teureren Angebote ausgesucht. Allerdings sind wir auch schon im März dort gewesen, vielleicht ist es inzwischen teurer. Wie auch immer: Prag ist eine Reise wert. Diese Mischung aus goldenem Prunk und dunkler Mystik – ich konnte mich gar nicht sattsehen daran. :-)

  2. 30. Mai 2018 3:46

    Danke für diese schöne Erinnerung! Ich habe Prag vor etwa 40 Jahren zum ersten Mal genossen, damals gab es noch kaum Touristen. Die Restaurants U Malirù und Opéra Grill waren noch ursprünglich und nicht mondän oder verkommen, Parnas ein reines Jazz-Lokal.

    • 30. Mai 2018 7:32

      Kaum Touristen, das kann ich mir kaum vorstellen. .) Es gibt immer noch Ursprüngliches, das wandert halt jetzt ab, erst mal in die Seitenstraßen, dann in die Randbezirke … Dazu muß man aber nette einheimische kennen, die einem so was zeigen.

  3. 31. Mai 2018 11:41

    Die Mutter aller Städte ist doch wohl Rom, oder?

    • 31. Mai 2018 11:54

      Am alten Bahnhof steht: Praga mater urbium. Ich hab’s einfach mal geglaubt.

  4. Anonymous permalink
    31. Mai 2018 12:32

    Die Mutter aller Städte ist eindeutig Tenōchtitlan.

    • 31. Mai 2018 12:39

      Aber haben die das auch am Bahnhof stehen?

    • Anonymous permalink
      31. Mai 2018 12:54

      Am Tempel des Huītzilōpōchtli stand natürlich ‚āltepēmeh īnnān‘, aber das kann man heute nicht mehr lesen.

    • 31. Mai 2018 12:57

      Ah, der Huītzilōpōchtli! Den kenne ich im Deutschen als Vitzliputzli. (Das wär mal ne Rechtschreibreform.)

  5. 31. Mai 2018 23:48

    Jaja, Prag. Es gäbe viel zu erzählen. Hatten wir doch ein Au-pair von dort. Später von der Familie eingeladen, schliefen wir unter deren Klavier, während sie in ihrer kleinen Küche…Ach, und was noch alles. Es gibt noch immer versteckte Ecken.

    • 1. Juni 2018 18:39

      Ja, die gibt es! Und ich hoffe, sehr, daß das so bleibt. Es tut Städten nicht gut, wenn sie verschachert werden.

Kommentare sind geschlossen.