Wie sich die Bilder gleichen.
Sie sind kleine Leute, Leute ohne Verbindungen. Sie haben Angst vor dem Krieg und allem, was er mit sich bringt. Sie haben Schreckliches erlebt. Vielleicht haben sie das Regime selbst gewählt, das ihnen die Katastrophe brachte; wer weiß. Hinterher will’s ja immer keiner gewesen sein.
Jedenfalls: kleine Leute, die ein mehr oder minder gutes Leben geführt haben auf ihrer Scholle. Bauern und Handwerker; der Hof war nichts Großartiges, aber er war eben genau das: ihr Hof. Ihrer Hände Arbeit, seit Generationen. Bis dieser Krieg sie ausgerissen und vor sich hergetrieben hat. Sie haben Schreckliches erlebt. Sie sind geflüchtet, und nun sind sie hier.
Hier: das ist ein Dorf, nicht unähnlich dem ihren daheim. Auch hier lebt man mehr oder minder gut, und es gibt Bauern, Handwerker, Verkäufer und Arbeiter, die in die Stadt pendeln. Eine lose Gemeinschaft. Aber diese Leute hier wollen mit den Flüchtlingen nichts zu schaffen haben. „Pack“, das hören sie oft; faul seien sie, Diebe und Schlimmeres. Im Gegenzug bleiben sie unter sich, klammern sich an verblassende Erinnerungen.
Man stellt ihnen Raum zur Verfügung, das ist auch schon alles. Geduldet im besten Fall; und ganz klar: sie werden die Flüchtlinge bleiben. Die Hoffnung auf Frieden ist immer auch die Hoffnung auf: dann könnt ihr wieder gehen. Und so arbeitet der Gutsverwalter als Erntehelfer, die Lehrerin strickt gegen Geld. Sie arrangieren sich; doch es fehlt oft am Notwendigsten.
Die Kinder bekommen’s zu spüren: wie sie in der Schule am Rand sitzen; wie alle sich zu ihnen umdrehen, wenn etwas schiefgeht. Wie die anderen Kinder in die Häuser geholt werden. Wie ernst die Eltern sind, traurig und manchmal wütend. Wie sie voller Sorge Nachrichten von zuhause erwarten; und wie sie auf alle Fragen nur sagen: wir wissen es nicht.
Es ist das Jahr 1946, und diese Flüchtlinge sind Deutsche, die aus dem späteren Polen vor der russischen Armee geflohen sind. Auch meine Großeltern mußten alles, was sie hatten, zurücklassen. Sie lebten dann für einige Zeit mit fünf Kindern in einem Lager, später in einer Dorfrandsiedlung. Über diese Zeit wurde in der Familie nicht viel geredet.
Stöbern Sie ein wenig in Ihrer Familienchronik. Vielleicht finden Sie da, in vagen Formulierungen versteckt, auch eine Geschichte von Flucht und Vertreibung, von Elend, Mißtrauen und Verachtung; einen Beginn in Bitterkeit. Sie verdanken dieser Geschichte wahrscheinlich Ihre Existenz. Pflanzen Sie die Bitterkeit nicht fort.
Erst später gelesen habe ich diese Geschichte bei der Trippmadam. Sie zeigt eine / die andere Seite.
Kommentare sind geschlossen.
einfach nur danke!
bravo!
Hat dies auf Pixartix rebloggt und kommentierte:
Lakritzes Weit- und Rückblick teile ich gerne mit meinen LeserInnen und Lesern:
Danke für diesen Text. Die Hälfte meiner Vorfahren und der Vorfahren meines Ehemannes waren Migranten aus dem Oasten Europas. So wie es gerade zugeht in „unserem“ Land, denke ich selbst immer öfter an Migration.
Hat dies auf Allerlei Kunterbunt… rebloggt und kommentierte:
Gestern und Heute …
Ich brauche nicht lange zu suchen, die Geschichte meiner Mutter ist dieselbe: 1946 nach der Zeit im Auffanglager Friedland in einem Dorf bei Paderborn gelandet/gestrandet. Außenseiter im Dorf.. später der Neid auf den „Lastenausgleich“ als die Familie Ende der 1960er ein Haus baut…. Der vermeintliche soziale Aufstieg durch Heirat hat nichts besser für sie gemacht.
Danke.
Ich kenne diese Geschichte eigentlich nicht; ich weiß nur von ein paar Episoden, Streiflichter aus der Erinnerung der Kinder, die selbst erst vier und acht Jahre alt waren: eine Lieblingskuh, die sie hätten zurücklassen müssen; später dann habe man sie Polacken genannt, und gefroren hätten sie, aber Hunger sei schlimmer als Frieren. Viel habe ich mir im Nachhinein zusammengereimt.
Andernorts sind die Erinnerungen sehr, sehr konkret.
Die Geschichte(n) sind ja auch nicht zuende, die nächste Generation hat auch noch eine Menge davon zu tragen, auch wenn sie keine Toten am Straßenrand mit Kinderaugen gesehen hat..
We are all out of Africa. Die eigene Familienhistorie ein Sammelsurium der Flucht Geschichten – aufgeschrieben gäbe das einen dicken Wälzer. Ich selbst bin Wirschaftsflüchtling aus NRW … Finde ich deshalb, dass man Flüchtlinge anständig zu behandeln hat?
Eigentlich könnte man das auch einfach so finden; aber gelegentlich sind wohl behutsame Anwendungen des Holzhammers nötig … .(
Hat dies auf Buchstaeblich seltsam! rebloggt und kommentierte:
Lakritze vom Blog normalverteilt spricht sehr klug an, man solle sich doch selbst einmal die eigene Familiengeschichte vorknöpfen und auf Fluchtgeschichten abklopfen. Das könnte sehr hilfreich sein!