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Regionalverkehr

6. April 2014

Zwei Jungs mit sorgfältig verwirrten Haaren fläzen auf den Klappsitzen im Fahrradbereich und schauen aus dem Fenster. Draußen ziehen Weinberge in frischem Grün vorbei, dazwischen immer wieder Bäume voller Blüten.
»Ich find das schön,« sagt der eine.
»Was –?«
»Diese … Hügel,« er macht eine Wellenbewegung mit der Hand, »keine hohen Berge.«
»In den Bergen ist es spannender.«
»Ja, spannend. Aber das hier, das ist schön. Da muß ich nur rausschauen, und es geht mir gut.«

*

Gebannt lausche ich einem Schwarm junger Frauen, die sich angeregt unterhalten, über ihre Chefin, die Mittagspausenregelung und betriebliche Weiterbildung. Ich verstehe nur die Hälfte des Gesprächs, die andere ist Türkisch. Zwei Sprachen, wie sie verschiedener kaum sein könnten, sind eine geworden, fließend, lebendig.

*

Ich schrecke auf, etwas nestelt an mir. Ein kleiner Junge, er kann eben freihändig laufen, untersucht brabbelnd und lachend meine Hosentasche und zieht mit spitzen Fingern ein Taschentuch heraus. Ich sage, so ernst ich das kann: Nein! das ist meins! Nein!
Die Mutter wirft mir von schräg gegenüber einen giftigen Blick zu. »Komm,« ruft sie den Kleinen, »gehen wir mal nicht zu den Leuten, die wollen das nicht.«
Später beobachte ich, wie sie versucht, ihn in den Kinderwagen zu setzen; da beißt er sie herzhaft in die Hand.

*

»Weißt du was?«, zwei Freundinnen stecken die Köpfe zusammen über Handtasche und Mobiltelefon, »Meine kleine Cousine hat Fußballsachen gekriegt, total in Rosa und mit Glitzer –!«
»Waas! Richtig für Prinzessinnen?«
»Ja! Und das gibt’s jetzt, wo wir alt sind!«

*

In der Abenddämmerung entdecke ich, gleich neben dem Bahndamm, Störche: ein gutes halbes Dutzend in der feuchten Wiese, imposant groß, sehr schwarz, sehr weiß und sehr rot; sie staksen feierlich und spießen sich hin und wieder etwas aus dem Gras.
Alles meine Störche: die anderen Fahrgäste sind mit leuchtenden Bildschirmchen beschäftigt.

*

Modellbahnhof

Kleine Welt.

23 Kommentare
  1. 6. April 2014 17:13

    Sehr schöne Facetten! Ich liebe so etwas.

    • 6. April 2014 17:16

      Ich weiß! .)
      Ich könnte Stunden in Bummelbahnen, an Bushaltestellen oder in Wartezimmern verbringen.

    • 7. April 2014 8:19

      :)

      Ich würde mitlesen.

    • 7. April 2014 8:54

      Hihi. Wie viele Kleinstgeschichten wohl nötig wären für ein getreues Abbild der Welt? Und wenn wir zusammenlegten –?

    • 7. April 2014 14:17

      Eine reizvolle Idee, aber das Ganze würden wir doch nie erreichen – es blieben Splitter. Aber die schillern im Licht ja manchmal ganz besonders bunt und helle.

  2. 6. April 2014 17:26

    Schön, da gibt es noch den D-Zug, ist ja eigentlich quasi mit der Dampflok ausgestorben. Auf welchem Bahnhof gibt’s denn die Modelleisenbahn?

    • 6. April 2014 17:35

      Die steht im lieblichen Ludwigshafen. Man hatte mir eine häßliche Stadt versprochen, und ich habe eine häßliche Stadt gesehen.

    • 6. April 2014 19:20

      An einem der Berliner Bahnhöfe gibt es auch eine, meiner Meinung nach Friedrichstraße.

  3. 6. April 2014 17:53

    Mir gefallen diese Fragmente, die Gleichzeitigkeit und die Rolle der zuhörenden Lakritze.

    • 6. April 2014 19:10

      Danke! Zuhören ist einfach, das kann ich. .)

  4. karu02 permalink
    6. April 2014 19:33

    Wie schön, dass Du keine Stöpfel im Ohr hast und kein Flimmerbildschirmchen vor Dir. So haben wir auch was davon.

    • 6. April 2014 21:32

      Ich verbringe viel zu viel Zeit vor Bildschirmen. Ich freue mich, wenn ich auch mal anderes zu sehen bekomme. .))

  5. 6. April 2014 20:55

    ich liebe deinen lebendigen blick in die welt! wunderbar!

    • 7. April 2014 7:24

      Danke, Soso! Es heißt ja immer, gucken kost‘ ja nichts. Manchmal bin ich da nicht so sicher … .)

  6. anglogermantranslations permalink
    7. April 2014 1:43

    „Don’t bite the hand that feeds you.“ :-)

    • 7. April 2014 7:24

      Sie hat auch da nichts gesagt; wird also in Ordnung gewesen sein …

  7. 6kraska6 permalink
    7. April 2014 18:10

    Sehr schön. Dennoch: „Fußballsachen (!) in Rosa und Glitzer“???– Das trägt nicht mal der FC St. Pauli oder der FC Köln! Und Frauenfußball wird auch nicht im Tutu gespielt! Verwirrt: Mag. Kraska

    • 7. April 2014 18:36

      (Das wäre aber mal ein Alleinstellungsmerkmal –!) Neeneenee, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, da steht man dann mit seiner Schulweisheit wie der Ochs vorm im Tor. Oder so ähnlich.

  8. 7. April 2014 20:52

    Frisch
    aus dem Leben
    raus
    gegriffen
    ungeschliffen
    schön

  9. 16. April 2014 14:24

    Zuhören ist gar nicht so einfach, das ist ebenso eine Kunst wie die Art, wie Du uns am Zugehörten teilhaben lässt.

    • 21. April 2014 22:23

      Oh, danke, Frau Eichhorn. Freut mich sehr.

  10. 2. Mai 2014 13:37

    Wie schön schön schön.

Kommentare sind geschlossen.