Regionalverkehr
Zwei Jungs mit sorgfältig verwirrten Haaren fläzen auf den Klappsitzen im Fahrradbereich und schauen aus dem Fenster. Draußen ziehen Weinberge in frischem Grün vorbei, dazwischen immer wieder Bäume voller Blüten.
»Ich find das schön,« sagt der eine.
»Was –?«
»Diese … Hügel,« er macht eine Wellenbewegung mit der Hand, »keine hohen Berge.«
»In den Bergen ist es spannender.«
»Ja, spannend. Aber das hier, das ist schön. Da muß ich nur rausschauen, und es geht mir gut.«
*
Gebannt lausche ich einem Schwarm junger Frauen, die sich angeregt unterhalten, über ihre Chefin, die Mittagspausenregelung und betriebliche Weiterbildung. Ich verstehe nur die Hälfte des Gesprächs, die andere ist Türkisch. Zwei Sprachen, wie sie verschiedener kaum sein könnten, sind eine geworden, fließend, lebendig.
*
Ich schrecke auf, etwas nestelt an mir. Ein kleiner Junge, er kann eben freihändig laufen, untersucht brabbelnd und lachend meine Hosentasche und zieht mit spitzen Fingern ein Taschentuch heraus. Ich sage, so ernst ich das kann: Nein! das ist meins! Nein!
Die Mutter wirft mir von schräg gegenüber einen giftigen Blick zu. »Komm,« ruft sie den Kleinen, »gehen wir mal nicht zu den Leuten, die wollen das nicht.«
Später beobachte ich, wie sie versucht, ihn in den Kinderwagen zu setzen; da beißt er sie herzhaft in die Hand.
*
»Weißt du was?«, zwei Freundinnen stecken die Köpfe zusammen über Handtasche und Mobiltelefon, »Meine kleine Cousine hat Fußballsachen gekriegt, total in Rosa und mit Glitzer –!«
»Waas! Richtig für Prinzessinnen?«
»Ja! Und das gibt’s jetzt, wo wir alt sind!«
*
In der Abenddämmerung entdecke ich, gleich neben dem Bahndamm, Störche: ein gutes halbes Dutzend in der feuchten Wiese, imposant groß, sehr schwarz, sehr weiß und sehr rot; sie staksen feierlich und spießen sich hin und wieder etwas aus dem Gras.
Alles meine Störche: die anderen Fahrgäste sind mit leuchtenden Bildschirmchen beschäftigt.
*
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Sehr schöne Facetten! Ich liebe so etwas.
Ich weiß! .)
Ich könnte Stunden in Bummelbahnen, an Bushaltestellen oder in Wartezimmern verbringen.
:)
Ich würde mitlesen.
Hihi. Wie viele Kleinstgeschichten wohl nötig wären für ein getreues Abbild der Welt? Und wenn wir zusammenlegten –?
Eine reizvolle Idee, aber das Ganze würden wir doch nie erreichen – es blieben Splitter. Aber die schillern im Licht ja manchmal ganz besonders bunt und helle.
Schön, da gibt es noch den D-Zug, ist ja eigentlich quasi mit der Dampflok ausgestorben. Auf welchem Bahnhof gibt’s denn die Modelleisenbahn?
Die steht im lieblichen Ludwigshafen. Man hatte mir eine häßliche Stadt versprochen, und ich habe eine häßliche Stadt gesehen.
An einem der Berliner Bahnhöfe gibt es auch eine, meiner Meinung nach Friedrichstraße.
Mir gefallen diese Fragmente, die Gleichzeitigkeit und die Rolle der zuhörenden Lakritze.
Danke! Zuhören ist einfach, das kann ich. .)
Wie schön, dass Du keine Stöpfel im Ohr hast und kein Flimmerbildschirmchen vor Dir. So haben wir auch was davon.
Ich verbringe viel zu viel Zeit vor Bildschirmen. Ich freue mich, wenn ich auch mal anderes zu sehen bekomme. .))
ich liebe deinen lebendigen blick in die welt! wunderbar!
Danke, Soso! Es heißt ja immer, gucken kost‘ ja nichts. Manchmal bin ich da nicht so sicher … .)
„Don’t bite the hand that feeds you.“ :-)
Sie hat auch da nichts gesagt; wird also in Ordnung gewesen sein …
Sehr schön. Dennoch: „Fußballsachen (!) in Rosa und Glitzer“???– Das trägt nicht mal der FC St. Pauli oder der FC Köln! Und Frauenfußball wird auch nicht im Tutu gespielt! Verwirrt: Mag. Kraska
(Das wäre aber mal ein Alleinstellungsmerkmal –!) Neeneenee, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, da steht man dann mit seiner Schulweisheit wie der Ochs
vormim Tor. Oder so ähnlich.Frisch
aus dem Leben
raus
gegriffen
ungeschliffen
schön
Danke!
Zuhören ist gar nicht so einfach, das ist ebenso eine Kunst wie die Art, wie Du uns am Zugehörten teilhaben lässt.
Oh, danke, Frau Eichhorn. Freut mich sehr.
Wie schön schön schön.