Kornblumengraus
In Hessen ist Ebbelwoi. Ebbelwoi gibt’s in Bembeln, en Fünfer mit em Sprudel oder eben auch ohne, und Bembel finden sich in Traditionsgasthäusern, hinter Fachwerk und unter holzvertäfelten Decken. Wir also rein in den Goldenen Bock.
Klar wollen wir uns an die Theke setzen, ist man nicht so allein; Sauwetter und späte Stunde, Gastraum weitgehend leergefegt, außer uns nur noch ein Tisch mit größerer Runde.
Drei Saure! Hier wird nichts beschönigt. Der erste Schluck zieht die Stirnen kraus; das Gespräch stockt. Ist gut?, fragt der Mann hinter der Theke, und wir nicken grimmig. Für den zweiten Schluck kann man das schon als nicht mehr ganz gelogen durchgehen lassen.
Die Aufmerksamkeit verhakt sich an den schmiedeeisernen Details der Einrichtung. Eiche rustikal, Butzenscheiben, Rauhputz, eine praktische Reling um die Bar. Bembel natürlich, und Fotos von Prominenz mit Bembeln. Drei Saure nochemal!
Am Nebentisch singt einer in behäbigem Tenor: Kornblumenblau …; die Runde klatscht Beifall. Aber so allein, beschwert er sich, mache das keinen Spaß. — Wir können das Lied nicht, gibt die Runde zu bedenken, da erklärt er sich zum Unterricht bereit, und nun wehre sich mal einer gegen was, das er nicht wissen will, vom Nebentisch. Drei Saure! Es ist ein Notfall!
Zwei Männer verankern sich an der Theke, die waren wahrscheinlich mit Willy Schneider in der Schule. Sind die Augen der Frauen beim WEINE, nicht beim Weinen! Die Fensterläden werden geschlossen, dann erscheinen Aschenbecher vor den beiden Greisen. … Treu auf blau, das reimt sich ja wohl gar nicht … Drei Saure! Gegen den Husten. Man ist ja nichts mehr gewöhnt.
Die Schobbepetzer vom Nebentisch sind jetzt fit für zumindest den Refrain; beim dritten Kornblumenblau öffnet sich die Durchreiche, der Koch lehnt sich aus seiner Küche in den Qualm und stimmt ein. Dann seid am Ende auch ihr … Drei — ach was. Zahlen, bitte!
Vordertür schon zu, Bitte um Verständnis, man lotst uns hinter der Theke zu einem schmalen Durchlaß. Schlüsselklappern, dann frische Luft und Regen. Das Kopfsteinpflaster brilliert mit Ablenkungsmanövern, aber der Ohrwurm sitzt und ist auch durch haltloses Gelächter nicht mehr abzuschütteln.
Drei Saure!
Beitrag zum Projekt *.txt (12: Rausch); wenn er doch nun schon mal da war …
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Manchmal muß man sich halt Übles antun!
Manchmal ist das nicht das Schlimmste. .))
was für ein stimmungsbild. wir sitzen grad am tisch, am ofen, und ich habe irgendlink den text vorgelesen. als wären wir dabei. obwohl ich das lied nicht kenne, natürlich, und zum glück auch. aber den sauren most (so heisst er in der schweiz).
proscht aufs leben.
herzlich, soso
Oh, dieses Lied bloß nicht googeln. Bloß nicht! (Aber eine schöne Vorstellung, so am Kamin vorgelesen zu werden. ,))
lieber lesen als googlen :-)
das gefällt mir!
Beim Sauren – ohne Kornblumen – hätte ich auch mitgehalten. Mir kann es ja nie sauer genug sein. Bei drei davon wäre ich aber blau ohne Blumen gewesen.
Wem sagst Du das.
Wie schön, dass es noch solche Kneipen gibt. Der „Süße“ wird dort sicher nur unter Protest ausgeschenkt, wenn überhaupt.
Aus der Zeit gefallen … In zehn, zwanzig Jahren wird man das vielleicht künstlich wiederherzustellen versuchen.
Und: Süßer?? Nie von gehört.
Mit sauren Getränken kann man mich jagen, es bestünde keine Gefahr, dass ich kornblumenblau würde. Aber warum nicht mal eintauchen in so eine Szenerie? Solage man nicht zum Schunkeln gezwungen wird…, Mitsingen reicht schon!
Die Stippvisite reicht vollkommen. Ich war fasziniert! (Und Saurer, ach, ab dem zweiten Glas schmeckt der!)
Grandios beschrieben. Aber: nein, danke, nein!
3 Süsse bitte!!!!
Empirische Millieustudien also … das kann ja Kopfschmerzen machen!
Der New Yorker hat einen netten Artikel zum Ohrwurm.
Das ist ja großartig! Ein Kochbuch für Ohrwürmer und eine Ohrwürmerei — danke für den Link!