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Lesen mit Strom

18. Januar 2011

Mein erstes Kuscheltier, erzählt man in der Familie, war ein Buch. Welches, ist nicht überliefert; nachdem ich es ein paar Monate an mich gedrückt, benuckelt und benagt hatte, mußten die Reste entsorgt werden.

Später bekam ich geschimpft, weil ich beim Essen las. Ich nahm die Unart an, verschiedene Bücher an verschiedenen Orten parallel zu konsumieren: das Busbuch, das Bettbuch, das für den Unterricht unter der Bank und zwei, drei für den freien Nachmittag.

Bücher laufen mir in Rudeln zu, und den Teufelskreis: ein Regal bauen, um Bücher kaufen zu können, für die dann bald wieder ein Regal gebaut werden muß, den kenne ich in- und auswendig.

Und jetzt das:

eBook-Reader

Ein eBook-Reader.

 

Er könnte die Lösung aller Stapelprobleme sein; Hunderte von Büchern haben auf ihm Platz. Auf das elektronische Papier, nicht ganz weiß, matt und hochauflösend, können die Entwickler mit Recht stolz sein. Je nach Licht und Sehschwäche läßt sich die Schriftgröße einstellen. Der Reader liegt gut und leicht in der Hand, man kann selbst im Bett und beim Zähneputzen mit einer Hand umblättern, und die Batterie reicht eine halbe Ewigkeit. Bücher sind nach Stichworten durchsuchbar und lassen sich mit Notizen versehen. Wenn bei der fremdsprachlichen Lektüre eine Vokabel fehlt, kann man sie in einem von mehreren integrierten Wörterbüchern nachschlagen.

Habe ich mir also bei Project Gutenberg jede Menge Klassiker, Erstaunliches und Obskures zusammengesucht und in wenigen Stunden mehrere hundert Bücher auf mein schlankes Täfelchen geladen. Die kann ich nun jederzeit aus der Tasche ziehen, an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer. Praktisch: Wenn ich nachts über der Lektüre einschlafe, schaltet sich der Reader nach einigen Minuten selbst aus.

Und doch …

Ich habe schlechte Lesegewohnheiten. Ich gehe an einem Regal vorbei und greife nach etwas, das mich aus irgendeinem Grund anspricht; manchmal entscheidet die Farbe eines Buchrückens über die Abendgestaltung. In meiner Lektüre blättere ich gern herum und lese in früheren Kapiteln oder ganz anderen Büchern nach, wobei ich oft kein exaktes Stichwort nennen könnte, nach dem ich suche. Für mich gibt es wenig Schöneres als Lexikonsurfen: einen beliebigen Artikel aufschlagen und dann über Querverweise, andere interessante Wörter auf der Seite, halbe Erinnerungen, zufällige Fotos und Abbildungen immer tiefer ins Wissensdickicht geraten.

Das alles kann ich mit dem Reader nur bedingt. Zwar lassen sich Lesezeichen setzen, aber schnelles Blättern für unspezifisches Suchen geht nicht. So ein Reader unterstützt keine Sprunghaftigkeit und hat für wilde Assoziationen wenig übrig; er macht ein (konventionelles) Buch zu einer ziemlich seriellen Sache.

Dann soll das zierliche Dingelchen zwar recht robust sein, aber ich wage trotzdem nicht, es genauso in meinen Rucksack zu pfeffern wie meine Papierbücher. Fallen lassen — bloß nicht. Es als Unterlage für die Teetasse verwenden — undenkbar. Ich schlafe sogar vorsichtig ein, um es nicht im Traum zu zerdrücken.

Alles in allem ist ein eBook-Reader eine schöne und erstaunliche Sache, sehr praktisch für manche Lebensbereiche. Ein vollwertiger Ersatz für ganz gewöhnliche oder gar schön gedruckte und gebundene Bücher wird er nicht. Und sowieso kein Kuscheltier.

22 Kommentare
  1. ottogang permalink
    18. Januar 2011 11:07

    Es ist immer wieder schön zu lesen, daß es noch „Buchfühlliebhaber“ gibt. Ein Buch muß ich greifen können, sonst erschließt es sich mir nicht.

    • joulupukki permalink
      18. Januar 2011 11:18

      „daß es noch Buchfühlliebhaber gibt“? – komisch, mein erste Reaktion war jetzt genau andersrum :-) Sprich: Ich freu mich viel mehr, dass Lakritze das e-book nicht gleich verteufelt hat (dabei bin ich selbst gespalten und konnte mich noch nie dazu durchringen eines zu testen, was nicht heißt, dass ich in der hardcopy-beta Variante nicht regelmäßig verzweifelt die fehlende STRG+F Funktion suche)
      Jedenfalls hab schon noch den Eindruck, dass man in der Kategorie ‚Buch aus Papier LeserIn‘ noch lange in der Überzahl sein wird. E-Book Reader sehe ich eher selten und die Gewohnheit ein Buch aus Papier in der Hand zu halten wird wahrscheinlich erst die nächste Generation abgelegt haben.

  2. 18. Januar 2011 11:08

    Ich habe es noch nicht ausprobiert. Bisher schließe ich mich ottogang an.

  3. walterlenz permalink
    18. Januar 2011 12:04

    Seitdem in meiner Umgebung ein Reader existiert, beschäftigt mich das Thema und ich war schon versucht, einen zu kaufen. Aber dann: Wo setzte ich meine Eselsohren, wenn ich den Autor im Grunde genommen nicht mag und ich sein Werk trotzdem irgendwie lesen will? Wie streichle ich das Papier einer Lieblingsautorin, das wahrhaftig blütenweiße? Wie setzte ich ganz liebevoll und heimlich rechts oben kleine Knicke als Markierungen auf die Seiten? (Richtige, und keine elektronischen.) Das kann ich beim Ein eBook-Reader nicht. Und ich sehe über die Jahre auch nicht, wie oft ich mich eine Lektüre beschäftigt hat. Das ist bei einem veritablen Buch anders.

    • 18. Januar 2011 14:35

      Das persönliche Eselsohr, sorgfältig handgefaltet, ist durch NIX in der Welt zu ersetzen.

  4. karu02 permalink
    18. Januar 2011 12:05

    Schöne Vorstellung: Das angenagte Kuschelbuch.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Reader einmal das gebundene Buch ersetzen wird. Aber ich liebäugele damit, seit ich das Teil bei einer Bekannten testen durfte und zwar nur aus zwei Gründen, meiner Technikverliebtheit und einem praktischen: Ich müsste nie wieder bei einer Flugreise zwischen drei dicken Büchern und meinen Wanderschuhen aus Gewichtsgründen abwägen.

  5. 18. Januar 2011 20:28

    gute Überlegungen. Ich glaube, es wird lange Zeit beides geben. Und für beides wird es eine Zeit geben. alles zu seiner Zeit.
    Für den Urlaub ohne Gewichtsbeschränkungen Bücher mitnehmen können hat schon was. Aber fürs gemütliche Lesen im Bett? Bisher noch nicht.

  6. 18. Januar 2011 23:23

    Ja, kommt mir sehr bekannt vor. Es lebe das haptische & Knabbererlebnis (heute knabbere ich auch nicht mehr, ok, aber trotzdem …). Ansonsten binb ich sachensucherins Meinung: Für den Urlaub oder sehr schwere Bücher, unterwegs, ok.

    • 29. Januar 2011 14:37

      Dazu noch ein großes Ärgernis: Um den eBook-Reader aufzuladen, wird er per USB-Kabel an einen Rechner angeschlossen. Das heißt, wenn ich länger als vier, fünf Tage lesen will, die die Batterie vielleicht hält, dann muß ich einen ganzen Laptop nebst Netzteil mitschleppen … Damit sieht’s wieder schlecht aus für z.B. die Wanderschuhe.

    • 30. Januar 2011 18:04

      Ich tippe, dass ein niedliches kleines USB-Netzteil ausreichen würde, solche gibt’s für rund 10 € im Elektronikversand.

    • joulupukki permalink
      31. Januar 2011 10:25

      Damit hauts auch mit den Wanderschuhen wieder hin – gesetz des Falles Lakritze packt nicht zu viele Steckdosen in den Koffer … ^^

    • 4. Februar 2011 15:17

      Danke. Das werde ich mir sicher anschaffen. Aber daß es nicht ab Werk dabei ist, finde ich schon ärgerlich.

  7. 19. Januar 2011 0:09

    Werbung, aber nett und zum Thema passend:

  8. 19. Januar 2011 1:05

    Außerdem lässt sich mit Elektroschnickschnack nicht gut der Kamin befeuern (RIP Manuel Vázquez Montalbán). Riecht immer so komisch und ist bestimmt auch ungesund…

    • joulupukki permalink
      19. Januar 2011 13:48

      Ein Argument.
      Hitler hätte in der Hinsicht aber auch nur die halbe Freud an seinen Bücherverbrennungen gehabt…

  9. Goliath permalink
    19. Januar 2011 10:31

    Ein Thema, das einen Freund und mich dieses Wochenende beschäftigte. Brauchen wir (Buchliebhaber) sowas elektrisches oder nicht? Die Abwägung erfolgte aufgrund einiger pro-und-kontra-Punkte (keine Rangfolge in den Punkten).

    + Viele Bücher – kein Platzmangel, keine Gewichtsprobleme
    + Bücher kaufen überall – instant delivery
    + Einfacher in einer Hand zu halten, weniger Ermüdungserscheinungen
    + Wenn der eReader ein iPad ist, dann all die Zusatzfunktionen im selben Tool
    + Wenn der eReader Hintergrundbeleuchtung hat, dann hat der Partner im Bett keine Probleme mehr mit Einschlafen wegen brennender Nachttischlampe

    – Fehlende Ästhetik: kein „Buchgefühl“, keine wachsenden Bücherregale, keine schönen Buchrücken, keine Sondereditionen mehr
    – Nicht alle Bücher verfügbar
    – Nicht jeder eReader hat dieselben Bibliotheken im Hintergrund
    – Kein standardisiertes Format, das auf jeden eReader passt
    – Online-Store hat die Möglichkeit auf den eReader zuzugreifen und Änderungen vorzunehmen (hat Amazon Kindle gemacht und wegen Urheberrechten jedem Besitzer automatisch George Orwells „1984“ gelöscht, inkl. allen Notizen dazu)
    – Verliert man den eReader (oder wird er gestohlen), verliert man die gesamte Bibliothek mitsamt Notizen darauf (Backup unerlässlich).
    – An Orten, wo man den eReader am meisten brauchen könnte, kann ich ihn am wenigsten unbeaufsichtigt lassen wie ich das bei einem Buch mache (zB. Ferien am Strand, in der Bar, Bahn…)
    – Austausch von Büchern unter Freunden etwas umständlich bis unmöglich (Book Crossing)

    etc… es müsste noch einiges ändern, damit ich mir je einen eReader zulegen würde… Ein Hurra auf alle Physischbuchliebhaber!

  10. richensa permalink
    22. Januar 2011 12:44

    Das „Kuschelbuch“… schön!
    Für mich bleibt das gedruckte Buch auch das Leseding meiner Wahl! Wie sollte ich eine Datei zum Verschenken bei uns in den Hausflur stellen? Oder gar von dort eine mitnehmen können? Ich habe mal bei einem großen Multimedia & etc.-Discounter so ein eReader angeschaut, so auf Anhieb hat mir das Leseerlebnis nicht gefallen.

    Und im übrigen: als ich etwa sieben Jahre alt war, hat sich die Mutter eines/r Mitschüler(in)s bei meiner Mutter beschwert, dass ihr Kind gerne mit mir mehr spielen würde, aber ich würde gleich ins Bücherregal einfallen und lesen. Meine Mutter hat mir nie verraten, wer diese Petze war, ich trage heute noch schwer an der fehlenden Antwort. So bemühe ich mich immer, bei anderen Leuten nicht gleich ins Bücherregal zu greifen und den Rest meines Aufenthaltes dort nur noch „mhmm…“ „jaja“ oder ähnlich zu kommunizieren….

  11. 24. Januar 2011 21:25

    Nach einer etwas abwesenden Woche (ich habe übrigens in der Hauptsache Bücher sortiert) freuen mich die Pro- und Contra-Kommentare.

    Wenn ich an die Haltbarkeit des Geschriebenen denke: In Stein Gehauenes überdauert Jahrtausende, Pergament und Papyrus sind auch ziemlich dauerhaft, Papier reicht dann immerhin noch für ein paar hundert Jahre — meine alten Disketten dagegen kann ich nicht mehr auslesen … Andererseits ist es vielleicht auch gar nicht mehr sooo entscheidend, daß alles Geschriebene für die Nachwelt erhalten bleibt.

  12. 15. Februar 2015 18:41

    Ich habe noch immer keinen E-Book-Reader. Nicht aus dogmatischen Gründen, eher aus Vorlieben und Gewohnheiten heraus. Dabei sollte ich mir einen vielleicht von Berufs wegen doch zulegen. Um zu wissen, wie das so ist und was es so gibt.

    Im Übrigen, wenn auch hoffentlich inzwischen ohne Grundlage, noch gute Besserung!

    • 15. Februar 2015 18:58

      Danke, schon erledigt, die Besserung!
      Und mir sind die ganz neuen Geräte ja unheimlich. Ich mag kein Buch mit Internet; und daß protokolliert wird, was ich wann und wie lange lese, gefällt mir auch nicht. Aber klar, die Möglichkeiten für den eBook-Anbieter sind sicher toll.

    • 16. Februar 2015 10:49

      Vielleicht warte ich auch noch auf die weitere Entwicklung. Denn mediale Geräte, die Spione und Monopolisten zugleich sind, kann ich auch nicht leiden.

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