Roß und Reiter
Qype-Beitrag zum Roßmarktbrunnen in Alzey, Roßmarkt, 55232 Alzey; Bewertung: ***** (von 5)
Ich weiß nicht, ob jeder einen Lieblingsbrunnen hat; ich habe einen: den Roßmarktbrunnen in Alzey.
Das Städtchen Alzey liegt zwischen den sanften Hügeln des rheinhessischen Weinlandes südlich von Mainz. Es geht auf keltische Wurzeln zurück; später hatten die Römer hier ein Dorf namens Altiaia gegründet — Alzey ist alt. Und geschichtsbewußt! Als Nibelungenstadt ist sie stolz (und war zu Zeiten noch weit stolzer), Stammsitz des Ritters Volker von Alzey zu sein, des Spielmannes am Hofe der Burgunder zu Worms, was die Stadt mit den sagenhaften Ereignissen um den Drachentöter Siegfried verbindet. Bis heute nennt sie sich auch »Volkerstadt«, und in ihrem Wappen ist die Fiedel des Spielmannes enthalten.
Nun ist es nicht so, daß sich Alzey gänzlich mittelalterlich erhalten hätte; dazu ist es in seiner bewegten Geschichte zu oft zerstört worden. Die heutige historische Bebauung besteht aus Fachwerk des 17. und 18. Jahrhunderts und Bauten aus dem für Rheinhessen typischen hellen Sandstein. In der Nachkriegszeit (Alzey hatte keine Bombe abbekommen) versuchte man auch hier, die krummen Gäßchen autogerecht zu machen und das Stadtbild zu modernisieren. Ein rühriger Heimatverein hat sich um die Erhaltung historischer Bausubstanz verdient gemacht, und heute besitzt Alzey eine recht ansehnliche Altstadt um Spießgasse und Roßmarkt.
Seit 1982 ist der Roßmarkt mit seinen prachtvollen Fachwerkbauten Fußgängerzone, und 1985 kam schließlich der Roßmarktbrunnen, den der Neustädter Bildhauer Gernot Rumpf geschaffen hat. Der Brunnen sollte etwas ganz Besonderes werden: er sollte das Thema des Pferdemarkts aufgreifen, gleichzeitig den Bezug zum Herrn Volker herstellen und natürlich ein bißchen mit der Nibelungensage kokettieren, diesem düsteren, blutigen Mythos um Siegfried, Kriemhild und Brünnhilde, Hagen von Tronje und den Hunnenkönig Etzel. Eine ideale Vorlage für eine Heldenpose …
Was daraus geworden ist: etwas ganz Besonderes. Mitten auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz liegt ein flaches Rund in Sandstein, mit Wasser gefüllt; darin die sprudelnde Brunnenschale, die von Reben aus Bronze überrankt ist. Einsam an der Tränke, die Vorderhufe im Wasser, steht ein lebensgroßes Pferd, gesattelt und gezäumt auf seinen Reiter wartend. Der dürfte gleich kommen — seine Fiedel hat er jedenfalls schon aufgepackt. Das Pferd ist kein edles Streitroß und alles andere als ein Rennpferd — es ist ein kompakter Ackergaul mit geflochtener Mähne, der sicher lieber friedlich am Markt auf seinen Herrn wartet, als schnaubend in den Kampf zu ziehen. — Und wo ist der große Volker? Nun, der wird wohl in einer der guten Gastwirtschaften hier versackt sein und die vielgerühmte rheinhessische Lebensart genießen. Aber das Nibelungengold –? Haben wir auch: in der Brunnenschale, überwachsen von Wein. (Was da der wirkliche Schatz ist, hat die Geschichte gezeigt.)
Wie sehr die Kinder den Max — so heißt das Pferd — lieben, sieht man daran, wie blank sein Sattel ist. In unzähligen Familienalben kleben Fotos vom Nachwuchs auf dem Bronzegaul. Ein weiterer Pluspunkt aus Kindersicht ist der Drache, so groß wie ein pummeliger Dackel, der auf dem Brunnenrand sitzt und etwas indigniert dreinschaut, sowie das Markenzeichen des Künstlers Gernot Rumpf: eine bronzene Maus in Lebensgröße. Sie ist die blankeste von allen Brunnenfiguren; jeder würde sie gern mit heimnehmen.
Nicht alle waren von Anfang an so entzückt über den Brunnen wie die Kinder. Vielen Rheinhessen war das zu wenig ernsthaft; über die Plumpheit des dicken Max waren manche regelrecht beleidigt. Aber, so erzählte mir eine alteingesessene Rheinhessin, so sehr die Männer auch bei Tage über den Gaul geschimpft hätten — nachts, nach den Weinfesten, hätten sie allesamt draufgesessen.
Ein Vergnügen, das ich jedem nur wünschen kann. Und wer das Herz eines Drachentöters hat oder ein kindliches Gemüt, sollte es am hellichten Tage tun.
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Jetzt erst entdeckt und interessiert gelesen. Auf dieses Ross würde sogar ich mich wagen, am liebsten, wenn gerade keiner guckt.