Herbstwinterlenz
Schnee mit Herrn G.
Zum Wandern in Zeiten der Pandemie muß man früh aufstehen und den Zug nehmen, den man noch für sich alleine hat. Dafür weiß man dann erst am Zielort, wie das Wetter ist: trüb und ziemlich warm, zumindest im Moseltal. Aber man soll ja einen Weg nicht von der Gleisbettkante schubsen, nur weil im Tal kein Schnee liegt; also ziehen wir los in höhere Lagen.
Am Ortsausgang sind die Straßenränder mit Flatterband abgesperrt – sollten sich auch hier die Tagestouristen gedrängt haben? Eigentlich sieht es nicht danach aus, struppiger Wald, matschige Fußwege, verhangene Ausblicke. Aber wer weiß. Wir begegnen jedenfalls keiner Seele bis ziemlich spät am Tag. (Dann lassen sich zwei junge Frauen – mit Abstand – von uns den Weg zeigen. „Eine schöne Karte haben Sie da“, als hätten sie so was noch nie gesehen.)
Irgendwann sind wir auch hoch genug für Schnee. Wir treten aus dem Wald, und die Hügelkuppe liegt im Licht wie Porzellan. Herr G. läßt sich die Sonne auf die Nase scheinen; ich würde am liebsten am Wegrand festwachsen wie ein Baum, als Ansitz für Raubvögel. Man wird sehr andächtig draußen, wenn man selten rauskommt. Und Schnee: muß man fotografieren, anfassen, probieren (also, ich zumindest. Schmeckt noch genau wie früher).
Der wird nicht lang liegenbleiben, wissen wird. Aber so lang er liegt, ist Winter, und die Welt ist schön.
Schnee & Schnee
Statt Reisen
Es war, sagt Herr G., ein bescheidenes Wanderjahr. So wenig sind wir noch nie unterwegs gewesen. Man wäre ja weg von allem und müßte nicht mal einkehren, aber man muß halt auch irgendwie hin. Deshalb.
Auch die nächtliche Reise zum Polarkreis, eine schöne Schiffssache mit L., ist nichts geworden. So gut ausgedacht, so ausgefuchst geplant; nur stattgefunden hat sie eben nicht. Wie auch mein Segelschiff zuvor nicht gefahren ist; wie wir auch kein weiteres Zugabenteuer erleben konnten.
Die kleine Runde, die ich mit Herrn G. gedreht habe, war dann ein gar nicht mal so magerer Ersatz. Bei Nacht und Nebel losfahren und dann in Wind und Kälte nackte Bäume sehen. Thermoskanne statt Ausflugslokal, Aussicht mit Abstand; aber die Gegend packt unverändert zu und macht ordentlich was her. Schon zu gewöhnlichen Zeiten eine Reise wert – jetzt, wenn man’s recht bedenkt, unser Jahresurlaub.
Kratzer
So viele schon sind dieses Jahr gegangen, jeder Verlust verschieden. Jeder hinterläßt eine Spur, einen Kratzer; nicht entstellend, aber auch nicht zu übersehen. Es werden mehr in jedem Jahr. Die Welt wird mir stumpfer, weniger hell, der Blick geht weniger weit.
Verlieren kann man nicht üben, wie ich weiß. Die Kerze hier: die ist für dich allein.
Tarte Tatin
Die besten Äpfel kommen, wie man weiß, vom Niederrhein. Und die beste aller Apfelsorten ist, da bin ich mir einig, die Ananasrenette. Von denen habe ich ein Halbdutzend bekommen, von der Gärtnerin selbst überreicht. Trocken war es dieses Jahr und lange ungewiß, ob sie überhaupt was werden würden. Sind sie – sie sind klein und dunkelgelb, duften intensiv nach Ananas und schmecken besser als alles, was ich in diesem Jahr sonst so hatte.
Um sie einfach so zu verschlingen, sind sie zu kostbar; also wird daraus eine Tarte Tatin. Dazu müssen sie hauchfein geschält – die Schalen und Gehäuse esse ich komplett, so ist es kein Verlust – und dünn geschnitten werden; dann kommen sie mit Zucker und Butter in die Pfanne und werden goldgelb karamelisiert. Die Pfanne kalt werden lassen – das ist wichtig, denn jetzt kommt der Mürbeteig als dünne Scheibe auf die Apfelschicht, und dann geht das Ganze in den Backofen. Wäre die Pfanne noch heiß, würden die Äpfel verbrennen; hätte sie einen Kunststoffgriff, wäre der jetzt weg.
Am Ende wird die Tarte gestürzt und mit einem Schlag Sauerrahm pro Stück verzehrt. Die Ananasrenetten kommen voll zur Geltung: weder mehlig noch matschig, mit genau der richtigen Säure und eben dem Geschmack, den nur diese Sorte hat.
Dank der Schenkerin – es war ein Fest!